Das Wort Analyse in Business Analyse verleitet viele Menschen, die sich zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigen, zu der Annahme, Business Analyse sei eine exakte „Wissenschaft“. Ganz nach dem Motto: Man zerlege ein Unternehmen in seine Einzelteile, um es zu verstehen, und baue es mit diesem Wissen wieder zu einem besseren, optimierten Unternehmen zusammen.
Die philosophische Lehre hinter diesem Ansatz ist der Reduktionismus: Dabei geht man von der Annahme aus, dass sich ein System durch seine Einzelbestandteile vollständig bestimmen lässt. Eine praktische Annahme, denn dadurch lassen sich alle Phänomene der Welt durch die grundlegendste Wissenschaft, die Einheitswissenschaft, erklären. Die Wissenschaftsgeschichte liefert auch viele Beispiele, in denen eine solche Reduktion von Erfolg war. Mein Lieblingsbeispiel dafür kommt aus der Astronomie: Der Astronom und Naturphilosoph Johannes Kepler definierte 1609 bzw. 1618 seine Keplerschen Gesetze. Eine wichtige Grundlage dafür waren die Beobachtungen von Planetenbewegungen durch Tycho Brahe und ihm selbst. Ihm gelang so die Bewegung der Planten auf ein einfaches Gesetz zu reduzieren. Aber hier endet die Geschichte nicht: Später wurden die Keplerschen Gesetze von Newton in den allgemeineren Zusammenhang seines Gravitationsgesetzes gestellt. Und wieder später konnten Abweichungen in Planetenbahnen, die man sich bis dahin nicht erklären konnte, durch Albert Einsteins Relativitätstheorie berechenbar gemacht.
Ein schönes Bild, dass die Grundidee des Reduktionismus auf die Spitze treibt, ist eine (falsche) Abbildung der mechanischen Ente. Diese Ente wurde von Jacques de Vaucanson konstruiert und war scheinbar in der Lage Körner zu fressen und zu verdauen. Auch wenn es nicht funktioniert hat, zeigt das Bild die Idee der Entitätenebenen: Soziale Gruppen lassen sich auf Lebewesen reduzieren und durch sie erklären, diese wiederum auf Zellen, diese auf Moleküle, Atome und Elementarteilchen.
Was hat das ganze jetzt mit Business Analyse zu tun? Genau so, wie sich manche Beobachtungen in der Natur wunderbar durch reduktionistische Ansätze erklären lassen, ist es auch mit Abläufen und Vorgängen in Unternehmen. Im Business Analyse Body of Knowledge (BABOK) sind auch einige Techniken beschrieben, die einen reduktionistischen Grundgedanken beinhalten: Beispielsweise Business Rules Analysis, Functional Decomposition oder Root Caus Analysis.
Auf der anderen Seite werden seit rund 30 Jahren antireduktionistische Positionen immer populärer. Lassen sich soziale Gruppen wirklich durch die Eigenschaften der darin enthaltenen Lebewesen erklären? Lassen sich die Eigenschaften von Atomen durch genaue Beobachtung der einzelnen Atom-Bestandteile erklären? Die Quantenphysik verneint letzteres ganz deutlich. Im Gegensatz zum Reduktionisums geht der Holismus (etwas verkürzt) davon aus, dass das Ganze mehr als die Summe der einzelnen Teile ist.
Auch in der modernen Managementliteratur setzt sich langsam durch, was viele immer schon wussten: Wir Menschen sind keine Roboter, sondern Lebewesen mit Emotionen und manchmal ganz und gar unrationalen Verhaltensweisen. Und diese lassen sich nun mal nicht durch Reduktion erklären. Hilfreich ist hier vielmehr das Erleben und Verhalten des Menschen, auch Psychologie genannt, empirisch zu ergründen. Der BABOK trägt auch dieser Entwicklung Rechnung und definiert als eine wichtige Eigenschaft von guten Business Analyse deren Fähigkeit zum Systemdenken:
Systemtheorie und Systemdenken gehen davon aus, dass ein System als Ganzes Eigenschaften und Verhaltensweisen zeigt, die aus dem Zusammenspiel der Elemente entstehen und nicht anhand einzelner Elemente erklärt oder vorausgesagt werden können.
Business Analysis Body of Knowledge (BABOK)
Wenn wir als Business Analysten also Unternehmen verändern wollen, um mit innovativen Lösungen bestehende Bedürfnisse zu erfüllen, dann benötigen wir beides: Reduktionismus, wo Reduktionen funktionieren, und Holismus, wo uns der Blick auf das Ganze weiterbringt.
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